Harald Kröner ist ein überzeugter Zeichner. Er arbeitet auf und mit Papier. Zeichnen ist für ihn eine all-tägliche Handlung, eine Methode, das Sein, die Gegenwart und ihr Hintergrundrauschen einzufangen. Alles existiert bereits unterhalb der weissen Oberfläche des Papiers, das ihn als Material so fasziniert und welches er sammelt.
Der Sammler und Zeichner muss sich das latent Vorhandene nur manifestieren und ineinander fügen lassen. Er tastet sich spielerisch vor und interveniert scheinbar minimal, um Möglichkeiten herauszufiltern. Konkret heisst das, bereit zu sein, sich dem zu öffnen, das jenseits des eigenen Willens, jenseits des individuellen Intellekts und Talentes liegt, risikobereit die Kontrolle entgleiten zu lassen. Wie bei John Cage, ist künstlerisches Schaffen hier ein offener Prozess und ein Mittel, sich mit dem Wirkprinzip des Seins zu verbinden.
Sind Kröners Zeichnungen auch Werke, in deren Entstehung Zufall und Wandel eine wesentliche Rolle spielen, so sind es doch keinesfalls unstrukturierte, arbiträre Kompositionen. Im Gegenteil, jede Werkserie ist die Deklination von bestimmten visuellen und kompositorischen Ideen, sowie spezifischen Verfahrensweisen. Ausgangspunkt ist immer das Material, seine physische Realität. Das trifft auf die Schnittzeichnungen genauso zu wie auf cut, schwarzwasser, canto, snow und andere.
Es geht Kröner, der bei Rudolf Schoofs an der Kunstakademie Stuttgart studierte (1984-1990), also nicht nur um das Miteinbeziehen des Zufalls, sondern mehr noch um das Potential des Wandels. Auch Schoofs bezeichnete seine Arbeiten als "dem stetigen Wandel auf Erweiterung und Neuentdeckung erliegend". Kröners Position erinnert jedoch vor allem an das von Cage entwickelte Konzept der Unbestimmtheit (indeterminacy), welches er von dem Begriff Zufall (chance) unterscheidet. Ähnlich wie Cage, lässt sich Kröner bei vielen seiner Zeichnungen vom Fundus des gesammeltem Papiers sowie von zufälligen Resultaten der verwendeten Techniken leiten. In einer Art Kreislaufwirtschaft kreist das im Atelier gesammelte Material so lange, "bis es sich in Konstellationen erlöst". Das ist der Garant für Wandel, eine Art Neutralität oder Objektivität, die ermöglicht, dass jedes Ding es selber ist und sich seine Beziehungen zu anderen Dingen ganz natürlich ergeben.
Kröner spricht von Zeichnung auch als einem ständig wachsenden Ideenspeicher, einer Art Batterie, und so versuchen die Arbeiten der letzten beiden Jahre, die als Titel fortlaufende K-Nummerierungen tragen, neuerdings die einzelnen bisher entstandenen Werkblöcke durch Querverweise miteinander zu verknüpfen und zu polyphonen Feldern von Erzählungen zu vernetzen. In diesen Zeichnungen verwendet der Künstler die unterschiedlichsten Materialkombinationen, und lässt Material zwischen Arbeiten hin und her wandern. Frühe Zeichnungen aus den 1990er Jahren werden in einigen der Lackarbeiten quasi eingeschmolzen. In Schmutzränder, die durch das Bemalen eines anderen Papiers stehen geblieben sind, werden kleinere Blätter eincollagiert. Sie werden so zu gestaffelten Rahmen. Er bringt ganze Seiten aus Kunstzeitschriften, aus denen er die Abbildungen entfernt hat, in die Zeichnungen mit ein. Diese bezeichnet er als "stumm geschaltetes Diskurs-Echo", das er so zeichnerisch in einen neuen Kontext stellt.
Auch wenn Kröner Zeichnung in den grossformatigen Arbeiten nahezu als Tafelbild denkt und in den Accrochagen als raumgreifende Installation, verzichtet er auf grosse Gesten und dramatische Inszenierungen. Dies trifft auch auf seine Neonarbeiten zu, kalligraphisch umgesetzte Wortspiele, wie gracehoper (2015) oder diasporation (2016). Sein Desinteresse an Spektakulärem und sein Augenmerk für das Detail, das Fragmentarische und sperrig Poetische positionieren ihn in das Umfeld von Zeichnern wie Sylvia Bächli.
Wie bei ihr entfaltet sich Zeichnung über den Blattrand hinaus, entwickelt sich die flüchtige Spur in den Raum und deutet alternative Ordnungen an. Kröners Findungen, unbestimmt und intermediär, ergeben ein Spannungsfeld von Andeutungen, das sich sperrig dem Diskurs entzieht. In der Verweigerung des eindeutig Sagbaren und der Bejahung des unvermeidbar Intimen ist Kröners Werk aktuell und auch politisch.
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