Giacomo Santiago Rogados autopoietische Malereien entziehen sich einer direkten Entschlüsselung. Um ihre expressive Kraft zu verstehen, ist eine kontemplative Auseinandersetzung unabdingbar. Das Kaleidoskop von Eindrücken, Ideen und Emotionen bringt der Maler durch seine künstlerische Praxis ans Licht.
Er lädt zu einem Bestaunen der hervorgerufenen Assoziationen ein, was als ein meditativer Zustand im Kontrast zur schnelllebigen Gesellschaft verstanden werden kann. Ergreifend sind die farblich kontraststarken Oberflächen und die ausgefallene abstrakte Formensprache, welche einen hypnotisierenden und pulsierenden Effekt erzeugen.
Das Arbeitsverfahren des Malers ist zwischen einer kontrollierten Intention und einem dem Zufall-Überlassens zu verorten. Dabei bringt der Maler Technik, Farbe und Form in einen Zusammenklang.
Das Œuvre von Giacomo Santiago Rogado entsteht über längere Zeiträume hinweg, stetig und parallel. Er verzichtet auf geplante Vorskizzen; Farben und Impetus sind für ihn intuitive Entscheidungen. Ein Farbton bestimmt den nächsten, die entwickelte Oberflächensignatur eines Bildes verweist auf die eines anderen. So wächst sein serielles Werk selbstständig ad infinitum.
Mit seinem Gesamtwerk greift Giacomo Santiago Rogado die sinnlichen und spirituellen Erfahrungen der Meditation und der asiatischen Philosophie auf und übersetzt sie in eine künstlerische Ausdrucksform.
Der Einfluss von asiatischer Philosophie, wie dem Zen-Buddhismus ist in der Kunst im 20. Jahrhundert keine Seltenheit. Die Philosophie der sich wiederholenden, aber keinesfalls planbaren alltäglichen Aufgaben – dazu zählt auch der Malprozess selbst – können zu Satori (Erleuchtung) führen und findet Anhänger wie John Cage oder Jackson Pollock. Auch Künstler*innen der Farbfeldmalerei und des Informel fühlten sich von den Lehren des Zens angesprochen. Piet Mondrian sehnte sich durch die Abstraktion naturalistischer Gegenstände in reine Farbe und Fläche nach spiritueller Erleuchtung. Und neben Mark Rothko, der beabsichtigte das intuitive Unbewusste in der Farbflächenmalerei darzustellen, galt laut Hans Hartung die Verwurzelung der Philosophie der Meditation im Malprozess als unanfechtbare Voraussetzung zur freien Kunst.
Die Malereien und raumgreifende Installationen von Giacomo Santiago Rogado regen dazu an, den schmalen Grat zwischen dem, was wir sehen, und dem, was wir zu sehen glauben, zu hinterfragen und daraus eine meditative Erfahrung zu machen.
Das Spiel zwischen Kontrolle, Intuition und Zufall lässt sich an der Werkgruppe „Intuition“ (2014- Fortlaufend) nachvollziehen. Auf den unbehandelten und nassen Bildträger aus Baumwolle oder Leinen trägt der Maler frei Farbpigmente auf und lässt sie sich ausdehnen und verbinden. Dabei folgt der Maler gleichzeitig seiner Intuition und verlässt sich auf die ausgewählten Farben und deren unberechenbare Verbindung und Ausdruckskraft beim Verdunsten. Rogado erlaubt den Pigmenten ihre ästhetischen Formen eigenständig zu bilden, sich zu überlagern und ihren unvergleichlichen Ausdruck zu finden. Das Ergebnis ist eine einzigartige Oberflächensignatur: vom hellen Zentrum aus erstrecken sich zu den Bildrändern virtuose feine und doch farbintensive Verläufe, die sich überlagern, den Effekt einer Tiefenwirkung erzeugen und an Unterwasserpflanzen, Schwämme oder Korallen erinnern. Eine Metamorphose der Farben und Formen, die von der Zeit offenbart werden. Der freie und feinfühlige Umgang mit Farbe entwickelt sich dabei aus dem Unterbewusstsein und fragt nach einer kontemplativen Auseinandersetzung des Betrachtenden mit dem Bild.
Panoramaartig inszeniert der Maler seine an die Serie „Intuition“ angelehnte abstrakten Werke indem er die großformatigen Leinwände aneinanderreiht. Aufgrund des Effektes einer Tiefenwirkung durch die Verläufe von Farben – sie erinnern an Korallen oder Meeresschwämme – entsteht eine imposante Bild-Architektur, welche die Malerei zu einem begehbaren Raum erklärt und den Betrachtenden zu einer immersiven und meditativen Bilderfahrung einlädt. Diese liest sich als Akt der Entschleunigung und spielt in Rogados Ästhetik und Denkweise eine grundlegende Rolle.
Für die Werkserie „Accord“ (seit 2019 fortlaufend) trägt Rogado vorgefertigte Schablonen auf, welche die Oberfläche des Bildträgers mit geometrischen Formen und dichten Strukturen systematisch organisieren. Anschließend übermalt er diese mit einer harmonischen Farbpalette. Dadurch wird eine Dynamik der Oberfläche erzeugt, welche die geometrischen Formen ins Unendliche zu potenzieren scheint. Die Serie fungiert als Metapher für das Zusammenspiel der Formen und Elemente und ihrer Potenzierung auf der Mikro- und Makroebene der Welt.
Als meditativer und kontrollierter Malprozess kann die Arbeitsweise in der Werkgruppe „Coalescense“ (2016 - Fortlaufend) verstanden werden. Rogado zieht von der Bildmitte aus zu den Rändern des Bildträgers feine wellenförmige Pinselstriche, wodurch der Effekt eines Sogs in die Bildmitte erzeugt wird. Die Verwendung von Farbkombinationen, die sich kontrastieren, wie warme und kalte Farben, erzeugen eine Bewegung und Tiefe im Bild und lassen es gleichzeitig plastisch wirken. Linie und Fläche fungieren als Kartographie für einen introspektiven Blick.
Die Arbeiten auf Papier (fortlaufend) ermöglichen es, die autopoetische Methodik des Malers als kontemplativen und selbst beobachtenden Prozess eingehender zu verstehen. Wie ein Archiv an Erinnerungen dokumentieren sie seine methodische Bandbreite und Formfindung. Bei den Arbeiten, welchen man die Funktion eines Mood-Boards oder einer Mind-Map zuschreiben könnte, handelt es sich um eigenständige Werke, in denen sich seine Techniken und Motive zu einer neuen Form vermischen.
Giacomo Santiago Rogado (*1979, Luzern, Schweiz) studierte Bildende Kunst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern. Seine Arbeiten werden weltweit ausgestellt und wurden mehrmals ausgezeichnet. Der Künstler lebt und arbeitet in Berlin, Basel und Luzern.
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