Eröffnung anlässlich des Saisonstarts der Frankfurter Galerien vom 3. bis 4. September 2021
Lockere, gestisch anmutende Pinselstriche treten in Myriam Holmes (*1971) neuen Arbeiten in Dialog mit schimmernden Gold-, Silber- und Kupferflächen aus Schlagmetallen. Kühne Sprühdosenzeichnungen stehen neben farbigen Papierresten, Klebebandstücken und unterschiedlich aufgetragenen Aquarellfarben. Farbpigmente, Seife, Lacke, Beize und verschiedene Chemikalien reagieren mit kühl wirkenden Aluminiumoberflächen, Kunststofffolien oder gegossenen Bildträgern aus Gips – die Materialvielfalt in den Arbeiten von Myriam Holme lässt an Alchemistenküchen oder Universalgenies denken und ist doch im soziopolitischen Hier und Jetzt in Kreisläufen der Wiederverwertung geerdet.
Dabei ist ihr Umgang mit Materialitäten äußerst vielfältig: Geknickt, bemalt, beklebt, durchgedrückt, abgerieben, vergoldet und teilweise mit Chemikalien behandelt, mit Seife überlagert oder mit Salzkristallen bestreut – Myriam Holmes Malereibegriff bewegt sich momentan so dezidiert in einem erweiterten Raum wie wohl noch nie zuvor. So sind alle neuen Werkserien ihrer Einzelausstellung „glanz, kartographiert“ getragen von einer besonderen Aufbruchstimmung innerhalb von Myriam Holmes bisherigen OEuvres.
Verschiedene Stränge ihrer künstlerischen Sprache verknüpft sie gekonnt und schafft auf diese Weise ganz neue Werkreihen, die sowohl durch ihre Verdichtung, wie auch ihre gleichzeitige Leichtigkeit faszinieren.
Grundfragen ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit Bildraum, Umraum, Material und Motivik kartographiert sie in essentieller Reflektion und findet dabei zu neuen ästhetischen Ausformungen, die ihre bisherigen künstlerischen Setzungen wie in einem Lichtstrahl bündeln. Eine der Facetten, die hierbei leuchtend aufscheint, ist der titelgebende Glanz, der sich auf variierende Weise in ihren Arbeiten Bahn bricht – mal großflächig versilbernd, mal in äußerst feinen Goldsprenkeln und mal in geometrischen Kupferstrichen daherkommend.
Fläche und Form, Eigengesetzlichkeit des Material und malerische Geste prägen ihre Arbeiten dabei wechselseitig in stets genau austarierter Balance.
Ein spezieller Materialumgang eint Myriam Holmes Arbeiten, der oftmals eine besondere Zeitlichkeit umfasst. Ihre neuesten Werke enthalten zumeist gebrauchte Materialien, wie Druckplatten oder Kunststofffolien, deren bisherige Verwendungsspuren sie teilweise in ihre Bildfindungen mit aufnimmt. In ihrer neuen, wandfüllenden Arbeit „glanz, kartographiert“ (2021) nutzt sie Gelbe Säcke, die alltäglich zur Trennung von wiederverwertbaren Kunststoffen, Metallen und Verbundstoffen eingesetzt werden, als Bildträger. Auf die Plastiktüten des Verwertungskreislaufes bringt sie Schlagsilber auf und setzt lockere malerische Spuren mit pinkfarbener Sprühfarbe hierüber. Ein Spiel mit >High< und >Low< prägt dabei das Spannungspotential von Holmes Arbeiten. Die Versilberung von Müllsammeltüten ist ebenso humorvoll wie ökologisch-politisch lesbar und eröffnet insbesondere auch in der Kombination mit gesprühter Farbe – die wiederum an Graffiti oder Protestgesten erinnern lässt – vielfältige Assoziationsmöglichkeiten in ihrer inhaltlichen wie auch formalen Tiefe.
Dabei geht der Zufall in Form vorgefundener Zeichen der Zeit als Gebrauchsspuren eine untrennbare Liaison mit genauen ästhetischen Setzungen der Komposition ein. Die besondere Spannung von Myriam Holmes Arbeiten erwächst aus dem Wechselspiel von Materialeigenheiten, prozessualer Formgebung und gezielter künstlerischer Gestaltung. Vorhandene Spuren werden feinsinnig in neue Bildfindungen einbezogen und zur künstlerischen Aussage transformiert. Fragen der Autorschaft erweitert sie durch offene Prozesse, die sie mit ihrem umfangreichen Materialwissen anstößt. Den Ausgang dieser Prozesse überlässt sie teilweise konkreten Eigendynamiken, um herauszuarbeiten, was bereits im Material angelegt ist. Schichtungen decken die Zeitlichkeit in den Materialspuren auf und spielen mit Übermalungen, Überblendungen und Sichtbarkeit.
Die verwendeten, gebrauchten Materialien transportieren dabei einen speziellen Zeitbezug, der anhand vielfältiger Spuren entschlüsselbar ist und neuerdings sogar lesbare Teile der verwendeten Druckplatten einbezieht. Bei genauem Hinsehen entdeckt man in einigen Arbeiten einzelne Großbuchstaben oder auch Farbspuren der vorigen Verwendung der Druckplatten auf dem metallenen Untergrund ihrer Bildsetzungen. So ist auf ihrer Arbeit „rancoo“ (2021) der spiegelverkehrte Hinweis auf eine Corona-Schutzimpfung erkennbar, der die Arbeit noch auf einer weiteren Ebene zu einem Zeitzeugen werden lässt. Humorvoll transformiert Myriam Holme Fundstücke in Kunst, die noch eine Ahnung von der vorherigen Nutzung des Materials in sich tragen und einen Möglichkeitsraum eröffnen, der auf ganz eigene Weise über Historizität von Kunst und Materie berichtet.
Zugleich wird in der Titelgebung ihrer Arbeiten immer wieder ihre poetische Ader und ihr dezidiertes Spiel mit Sprachstrukturen deutlich. So wie sie hier die Einzelbuchstaben der umgangssprachlichen Virusbezeichnung zu einer Neuschöpfung umorganisiert, so erschafft sie aus gebrauchten Materialien und vorgefundenen Strukturen neue Werke mit weitreichenden und oftmals humorvollen Assoziationshöfen. In der Verbindung ihrer Werke mit ihren jeweiligen Titeln erschließen sich neue, poetische Denkräume alternativer Realitäten.
Gekonnt changieren Myriam Holmes Arbeiten zwischen traditionellen Kunstgattungen und tragen sowohl deutlich malerische, wie auch skulpturale Anteile in sich, während sie zusätzlich zeichnerische oder drucktechnische Anleihen zu ganz eigenen Hybriden vereint. Die durch verschiedene Farb- und Materialschichten überlagerten Metall- oder Kunststoffträger gehen dabei zumeist von einer planen Fläche aus und werden in den dreidimensionalen Raum hinein verformt. Hierdurch entstehen zunehmend großformatige bis hin zu raumfüllende Installationen, die die Malerei in den Raum entgrenzen.
Offene Narrative prägen die abstrakten Werke, die die Materialgenese des malerisch- skulpturalen Prozesses offenlegen und doch nie eindeutig werden lassen. Zugleich faszinieren Myriam Holmes Arbeiten gekonnt durch ihre wuchtige Fragilität, ihre gewaltige Präsenz, ihre metallene Leichtigkeit und schwebende Mehrdeutigkeit erweiterter Malerei. Dabei erobern sich ihre Arbeiten spielerisch und hintergründig ihren eigenen Raum mit großer Bestimmtheit in exakten ästhetischen Setzungen. Myriam Holme kartographiert die Möglichkeiten des Malerischen im Raum in ihren poetischen Bildfindungen auf eindrückliche Weise.
Text: Julia Katharina Tiemann
Ausgestellte Werke
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