Eine Levitation ist ein technisches Verfahren, bei dem ein Objekt zum freien Schweben gebracht wird. Konzeptionell kann der Schwebezustand als eine Verabschiedung eines festen Grundes, einer letztgültigen Basis verstanden werden, aus der heraus Erkenntnisse eindeutig hergeleitet werden können. Miriam Jonas und Lena von Goedeke erzeugen diese Schwebe der Objekte, indem sie deren Material auf unkonventionelle Weise benutzen oder ihr in der Funktion neuen Sinn zuschreiben. Bedeutung geht nicht aus einem Wissen, um die Dinge und ihren Zweck hervor, sondern aus einer ästhetischen Erfahrung, die auch die Einbettung der Werke in ihren Präsentationskontext einschließt. Die Indifferenz der Schwebe steht als Strategie für ein grundsätzliches Moment künstlerischer Tätigkeit: In der Auseinandersetzung mit der Materialität und Funktion der Objekte wird das Faktische hin zum Möglichen geöffnet. Dieses Potential schöpfen beide Künstlerinnen auf unterschiedliche Weise aus: Jonas als das Andere, das Unheimliche und das Posthumane, von Goedeke als das Eigene, das Technische und das Postdigitale. Durch die Neuinterpretation des Raumes erzeugen die Künstlerinnen eine eigene Codierung, mit der sie die einzelnen Werke miteinander verbinden. Ein zentraler Wert in dieser Codierung ist der Pool. Durch die Platzierung, Materialität, Haptik wie auch Farbigkeit der Objekte umkreisen sie mit Aspekten der Flüssigkeit, der Struktur der Wasseroberfläche, der Sicherheitsgeländer, des Sprungbrettes und des Seifenaromas die Thematik, ohne sie dabei eindeutig zu benennen. Sie leiten aus der besonderen Architektur der Galerie, den Höhenunterschieden der einzelnen Räume und den kleinen Verbindungstreppen, den Pool als konzeptionellen Ausgangspunkt ab, um ihre je eigene Position daran anzuknüpfen. Hierdurch verbinden sie bereits bestehende mit neuen, eigens für die Ausstellung entstandenen Werken. Die Arbeit Fokus (2014) von Miriam Jonas ist ein aus Fliesen und Fugen zusammengesetztes Wandbild. Durch die Abdunkelung der Fugen im Zentrum hebt sie die Rasterstruktur hervor und verleiht dem Bild ein narratives Moment, denn normalerweise werden die Fugen nur durch Nutzung und Verschmutzung dunkler. In der Serie Pool (2018) bearbeitete Jonas XPSchaumplatten derart, dass eine Struktur ähnlich einer Wasseroberfläche entsteht, die durch Form und Einfassung zudem der Aufsicht eines Pools entspricht. Über die Ausstellungsräume verteilt präsentiert sie ein Handtuch und Socken (Socks, 2018), an deren Enden sich leuchtende, teils farbintensive Kristalle gebildet haben. Es scheint als wären die Textilien nass geworden und hätten infolge einer chemischen Reaktion kristalline Strukturen gebildet. Mit Boss (2016) überführt sie den roten Panzer eines Krebses in die kühle, schwarz glänzende Oberflächenästhetik ihrer Formsprache. Die leicht rotierenden Augen erinnern an die Bewegung unbelebter Materie in der Geschichte der Automaten und Puppen und erzeugen eine unheimliche Präsenz eines Anderen, eines Eigenlebens der Dinge. Die glattgestrichenen oder funkelnden Oberflächen kaschieren das Befremdliche und Schauerliche einer darunter liegenden Narration oder Vitalität. Auf einem Geländer an der Wand lässt Lena von Goedeke einen Fuß balancieren. Die Arbeit Firm nimmt durch ihren Seifenduft und ihre ungewöhnliche Materialität und Leichtigkeit sowohl auf das Poolsetting des Ausstellungsraums als auch den Schwebezustand im Ausstellungstitel unmittelbar Bezug. Auf dem Boden vor der Stange ist ein Teppich neu verlegt worden, in den hinein sie Strukturen geschnitten hat. Auf dem Stoff steht die Arbeit Bittersweet, Keramikschuhe als Abguss des Adidas Samba Modells, das in ihrer Jugend- und Studienzeit besonders beliebt war. Mit den geometrischen Mustern und den persönlichen Referenzen verbindet sie zwei Aspekte, die für ihre künstlerische Arbeit wesentlich sind: das Eigene als Struktur der Erinnerung und des privaten Umfelds und das Technische als Struktur eines digitalen und industriellen Milieus. Von Goedeke übersetzt als postdigitale Strategie technische Praktiken und die damit verbundenen naturwissenschaftlichen Wissenssysteme in traditionellere Medien und damit konkret ins Material um. Das Eigene dient dabei als persönliche Aneignung, als von innen auferlegte Struktur gegenüber den technischen Strukturen, die ihr entgegenkommen. Beide Künstlerinnen wenden sich einer Analytik des Materials zu, deren Ausgangspunkt eine produktive Schwebe der Funktions- und Bedeutungszuschreibung ist. Die dabei entstehenden neuen Strukturen und Oberflächen verlangen zudem eine Verortung des Betrachters im Raum, indem sie wie in der Serie Pool von Miriam Jonas oder der Arbeit Radar II von Lena von Goedeke bewusst mit der Perspektive und der Distanzleistung spielen. Neben diesen sich auf den Oberflächen abzeichnenden Strukturen, geht es den Künstlerinnen aber ebenso um jene Unsichtbaren, die sich aus der Bearbeitung und Nutzung des Materials eher als eine Formsemantik ableiten lassen. Die sich in der Schwebe befindenden Werke verlangen nicht nach einer ganz anderen Perspektive, die jenseits des Bewussten oder Menschlichen liegt. Sie adressieren vielmehr eine individuelle Wahrnehmung und erfahrungsmäßige und emotionale Verortung, die sich nach der Krise des Subjekts im 20. Jahrhundert der eigenen Position und Rolle in der gegenwärtigen technischen Wirklichkeit vergewissert. Der Pool als assoziative Verkettung kann dabei auch als Metapher für unsere derzeit flüssige Nachmoderne verstanden werden: Tradierte Fundamente werden entlarvt und in Frage gestellt. Eine konstante Schwebe stellt sich ein. In diesem Zustand nutzen Jonas und von Goedeke die besondere Auseinandersetzung mit der Materialität, um sich der Dinge zu vergewissern. Unsere Erfahrungswelt ist ein Milieu zusammengesetzt aus Natur, Kultur, Belebten, Unbelebten und Technischen, dessen Eigenarten wir in der festen Routine unseres Alltags ausblenden. Den konventionellen Zuschreibungen enthoben, kommen uns die Dinge als etwas anderes entgegen, als etwas auch Unheimliches (Jonas), das die Ränder unserer gewohnten Erfahrungswelt aufzeigt, oder als etwas Technisches (von Goedeke), das an die Grenzen der vom Menschen erzeugten Bildwelten rückt. Das Subjekt kehrt zurück unter den Bedingungen des Rückkehrers.
Ausgestellte Werke
xs
sm
md
lg
xl
Cookies
Durch die Nutzung dieser Website akzeptieren Sie automatisch, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.