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Abstraktion ist ein Phänomen, unter dem zunächst eine Reduktion der komplexen Wirklichkeit verstanden wird: Vereinfachen, Systematisieren einerseits, Lokalisieren des Prototypen unter der Vielfalt von Erscheinungen andererseits. Abstrahieren ist ein wichtiges Verfahren, um neues Wissen zu erzeugen, es darzustellen und zu vermitteln. Abstraktion stellt sich zum Beispiel durch den makroskopischen oder den mikroskopischen Blick ein – zwei Modelle des Sehens, die für die Auflösung der sichtbaren Welt etwa in Muster, in Strukturen stehen. Abstraktion begleitet auch die Geschichte moderner Wahrnehmung und moderner Technologien. Neue Wahrnehmungsmodi, ausgelöst durch wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Medientechnologien beeinflussen bis in den Alltag hinein unseren Wirklichkeitsbezug.

Bei der Reflexion über Wahrnehmung wird deutlich, dass wir immer versuchen, das Gesehene auf uns bekannte Formen und Strukturen, auf unsere "vorgefassten" visuellen Erfahrungen zurückzuführen. "Abstraktes Sehen" überhaupt muss erst erlernt werden. Etwas als Struktur oder nur als Form stehen zu lassen, fällt uns schwer – es sei denn, wir sehen ein Kunstwerk unabhängig von der beschreibenden Funktion, unabhängig von Repräsentation, uneingeschränkt autonom in seiner Wirkung von Farbe und Form. Das Vermeiden klar erkennbarer Struktur – etwa im Informel, oder von Anklängen an das Gegenständliche in den konstruierten, auf Form und Linie basierenden Werken formal abstrakter Kunst – zeugt vom Versuch, eine Objektivierung zu erreichen. Allerdings gilt auch: Als Konkretion betrachtet, ist jede Malerei ein abstraktes Gebilde und Wirklichkeit zugleich.

Abstraktion ist auch ein Schlüsselphänomen in der heutigen Kunstpraxis. War der Fokus zu Beginn der abstrakten Malerei noch auf die Wahrnehmungsveränderung gelegt, ist sie heute ein grundlegender Parameter, mit dem oder gegen den die wissenschaftliche und ästhetische Argumentation organisiert ist. Nach der Rückkehr des Figurativen in der Kunst ab 1960 ist Abstraktion in erster Linie eine Methode, die auf der praktischen Ebene zur Ausdruckskraft, auf der theoretischen Ebene(n) zur reflexiven Auseinandersetzung verhilft. Der erneute Rückgriff auf Strategien der Erzählung in der figurativen Malerei ist jedoch kein Schritt hinter die Abstraktion zurück. Vielmehr ist für die heutige künstlerische Praxis das Verhältnis von Abstraktion und Figuration wichtig, denn daraus entwickelt sich ein produktives Spannungsverhältnis.

Ian Davenport wurde 1966 in London geboren. Seine Malereien entstehen in einem repetitiven und formalen Prozess, einem wissenschaftlichen Experiment vergleichbar. Meist lässt er mit einer Spritze applizierte Farbe über schräg gestellte Flächen von der oberen Kante nach unten fliessen. Das Resultat sind intensiv farbige Streifenbilder, angereichert durch einige Ausreißer der rinnenden Farbe, die zufällig durch minimale Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche des Untergrundes verursacht werden.

Joanne Greenbaum, 1953 geboren in New York, schafft Bildgefüge einerseits durch streng formale Konstrukte und andererseits durch unbeschwerte malerische Gesten, die sich in einem vielschichtigen komplexen Bildraum verschränken. Wie auf verschiedenen Ebenen liegend, treffen geometrische und organische Formen aufeinander, geraten in Widerstreit und erscheinen doch systematisch miteinander verwoben.

Katharina Grosse, geboren 1961 in Freiburg im Breisgau, arbeitet mit Spritzpistole und Pinsel. Ihre Malgründe sind aufgespannte Leinwände, Aluminiumtafeln und grossformatige Papierbahnen, von denen die sinnliche Wirkung der Farbe und ihr erzählerischen Gehalt bestimmt werden. In anarchischem Verzicht auf geordnete kompositorische Strukturen schafft sie eine vom Experiment bestimmte, autonome Malerei.

Frank Nitsche, 1964 in Görlitz geboren, spielt an der Grenze der abstrakten Form mit Strukturen, die Erinnerung zitieren. Bilder aus Zeitschriften und Magazinen nutzt er als Archiv, als Inspirationsquelle für seine abstrakten Arbeiten. Übersetzt in seine Formensprache sind sie nicht mehr eindeutig dechiffrierbar. So bleiben die Bilder höchst suggestiv und es ist dem Betrachter überlassen sie zu deuten.

Die Bilder von Albrecht Schnider, geboren 1958 in Luzern, muten wie zufällige Ausschnitte auseinandergefalteter Flächen an, die sich kaleidoskopartig über den Bildrand hinaus ausweiten könnten. Die präzis gemalten Binnenränder und der Einsatz der Metallfarben Gold, Silber und Bronze vermitteln den Eindruck, als ob man vor industriell gefertigten Mustern stehen würde. Alles Persönliche, Handschriftliche und Verweisende ist aus den Bildern verbannt.

Die Gemälde von Esther Stocker, geboren 1974 in Schlanders, Südtirol, sind meist rasterhaft aufgebaute geometrische Muster, in schwarz und weiß oder Grautönen gehalten. Minimale Eingriffe, die sich wie Bildstörungen eines sich zu langsam aufbauenden Bildschirmes ins Blickfeld schieben, verunsichern die Klarheit der benutzten geometrischen Formen. Esther Stocker gelingt es so mit einfachsten Mitteln, Ordnungs-, Raum- und Malereivorstellungen aufzubrechen.
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